Die schlechte Zeit

von Hans Obermair

Die schlechte Zeit

So überlebte die Bevölkerung in unserer Region im Krieg und in den Jahren danach

Redet man von der „schlechten Zeit“ meint man die Zeit bei­der Weltkriege und die Zeiten danach. Für die letzte Nachkriegszeit gibt es noch viele Zeitzeugen, die noch lebendige Erinnerungen zu berichten wis­sen. Und darüber soll hier zu lesen sein.

Die Ernährungssituation war, wie schon im Krieg, katastrophal. Offiziell konnten Nahrungsmittel nur gegen Lebensmittelmarken erworben wer­den. Man sagte, die, die nur nach „Marken“ leben müssen, die könnten nicht überleben. Erfindungsgeist war gefragt. Betteln und hamstern war an der Tagesordnung. Mit den an Wochenenden voll besetzten Zügen zur

Schwammerl- oder Beerenzeit kamen die Städter scharenweise, um we­nigstens im Wald noch ohne Lebensmittelmarken etwas zu erhaschen. Ei­ne andere Methode war das Sammeln von den liegen gebliebenen Ähren auf den abgeernteten Getreidefeldern. Aber auch die von den Bauern be­reits „nachgeglaubten“ Kartoffelfelder wurden noch einmal abgesucht, um doch noch ein paar Knollen zu ergattern. Oft aber mussten die Städter ihre Familienschätze in Essbares Umtauschen, um über die Runden zu kom­men. Wohl den Städtern, die eine Verbindung zum Land hatten. Umso schlechter erging es den anderen.

Die Landwirte hatten strenge Ablieferungsvorschriften. Aber „schwarz“ ging halt immer etwas. Zum Beispiel Milch zum Ausbuttern, die über die von der „Milchmesserin“ nicht so genau registrierte Menge zur Verfügung stand. Das „Schwarzschlachten“ eines Schweines war bei vielen ebenfalls üblich. Hier war größte Vorsicht geboten. Zum einen durfte das entfernte Tier den Bestand offiziell nicht mindern und zum anderen gab es die Ge­fahr der Schlachtung selbst. Das Schwein konnte ja, bei nicht fachgerecht erfolgtem „Erstschlag“, durch lautes Geschrei die „Außenwelt“ alarmieren. Und so wurden viele Raffinessen erdacht, um dies zu verhindern.

Hier ein Fall: Der schlachtende Bauer hatte einen Lanz-Bulldog, der zum Zeitpunkt der „Tötung“ kräftig „eingespritzt“ wurde, um so für den nötigen „Krach“ zu sorgen. Damals gab es, außer in der kalten Jahreszeit, keine Kühlmöglichkeit. Und so kam es durchaus vor, dass die Nachbarn das Fleisch im Eiskeller des Wirtes zwischenlagerten. Natürlich ganz hinten auf dem Eisblock, sodass es bei einer eventuellen Kontrolle nicht auffiel.

Der „Schwarze Markt“ erreichte aber auch manchmal Dimensionen, die mit dem Stillen des Hungers nichts mehr zu tun hatten. So wurden Tiere gestohlen und „verschoben“. Lebendig und tot. Die Transporte solchen Gutes waren dabei äußerst geschickt organisiert. So wurde ein zum „Holz- gaser“ umgebauter Kraftwagen zurück gebaut und wieder mit üblichem Treibstoff betrieben. Im Holzgaserkessel war deshalb Platz für ein totes Schwein. Die Polizeikontrolle hätte nichts bemerkt, wäre es nicht kalt ge­wesen. Ein Polizist wollte sich die Hände aufwärmen. Doch der Kessel war kalt. Und so flog der Schwindel auf.

Nach dieser „schwarzen“ Zeit wurde immer über diese gesprochen. Einer hat einmal dem anderen vorgeworfen, er hätte ihm eine von ihm versteck­te Kuh gestohlen und wollte dafür Ausgleich. Er erhielt folgende Antwort: „Die Kuh ersetze er nicht, die war ja auch gestohlen, aber für den Strick, an dem die Kuh hing, zahle er. In einem anderen Fall wurde erzählt, dass,

wenn ein Schwein geschlachtet wurde, ein Polizist immer rechtzeitig zum „Kesselfleisch“ präsent war. Wie wusste er das? Später gab es ein Polizist zu: „Bei euch war das Hoftor nur zu, wenn ihr geschlachtet habt – und so wusste ich es.“

Tabak und Zigaretten waren Mangelware und damit bevorzugtes Schwarz­handelsgut. Wohl dem, der seine, über Marken zugeteilte Ration nicht ver­brauchte und damit ein wichtiges Tauschgut hatte. Bei den anderen reich­te die Zuteilung bei weitem nicht aus. Tabak wurde, mit zum Beispiel mit dürren Nussblättern, „gestreckt“. Aber auch „Mahorka“, ein russischer Ta­bak der aus klein gehäckselten Rippen der Tabakblätter bestand, war im Umlauf. Wer die Möglichkeit hatte, baute Tabak selbst an. Natürlich im Hausgarten, denn auf dem freien Feld hätte man ihn gestohlen. Und dort auf dem wärmsten Platz, der in guten Jahren für Gurken und Tomaten re­serviert war. Nach der Ernte wurden die Tabakblätter zum Trocknen auf­gehängt und mussten „fermentieren“. Für die Selbstherstellung von Tabak gab es die verschiedensten Rezepte. Zum Beispiel in Dosen eingelegt und Schicht für Schicht mit Zucker bestreut. Auch das Schneiden des fertigen Produktes erforderte Fertigkeit. Hierzu gab es auch kleine Maschinen, in denen der Tabak, ähnlich wie bei einer „Gsottmaschine“, geschnitten wur­de. Tabak wurde entweder in der Pfeife oder als Zigarette geraucht. Die Zi­garettenhüllen waren ebenfalls ein Schwarzmarktartikel. Oft genug wurde aber Zeitungspapier verwendet.

Auch Zucker war knapp. Ein gängiger Ersatz war Sirup. Dieser wurde aus Zuckerrüben, auf dem Feld angebaut, hergestellt. Sie mussten zerkleinert und gekocht werden. Dieser Vorgang dauerte mehr als einen Tag und so wurde die Nacht über durchgeheizt. Jedenfalls bestand das Endprodukt aus einer zähen, süßen Masse, die, wenn man sie aus dem Topf heraus­nahm, lange Fäden nach sich zog. Verwendet wurde Sirup zum Süßen von Gebackenem, für Mehlspeisen und als Brotaufstrich.

Am leichtesten war Kleidung zu ersetzen. Da wurde „Getragenes“ aufge­trennt, gefärbt neu genäht oder gestrickt. Das auch aus Militärbeständen wie Zelte, Uniformen und Fallschirmen. So manches Brautkleid war aus „Fallschirmseide“. WerVerwandte in Amerika hatte, wurde mit Altem und Neuem per Paket versorgt. Auf der Straße erkannt man, wer mit solcher Verwandtschaft gesegnet war. Ledernes wurde neu „gedoppelt“ und wenn es mit altem Reifenmaterial war. Da wurde getauscht und gehandelt. Mei­ne Lederhose, steif und „selbststehend“ war ein Pfund Butter wert und ei­ne Investition für mehrere Sommer.

Alkoholisches war ebenfalls knapp. Auch die Herstellung von Bier wurde mit mäßigem Erfolg versucht. Da war es beim „Schnaps“ schon einfacher: Obst war ja einigermaßen vorhanden. Mit Waschkesseln konnte ein funk­tionierendes Gerät gebaut werden. Das Destilliergerät war auch behelfs­mäßig. Aber es tropfte: Hochprozentiges. Wegen des Produktionsengpas­ses oft nicht ein zweites- oder drittes Mal gebrannt und mit dem Trennen des „Vorlaufes“ ging es auch nicht so genau. Also: „Schnaps ist Schnaps“! Und wenn man dieses „Gesöff Fusel nennt, ist es noch gut bedient. Und dass dieser „Fusel“ die Augen schädigen kann, wurde ebenfalls nicht im­mer berücksichtigt. Von diversen „Hoffabrikanten“ eben nicht. Und wenn diese dann übermäßig „blinselten“ wusste man: „Aha“.

Aber nicht nur was das Essen betrifft, waren diese Jahre fürwahr eine „schlechte Zeit“. Denken wir an die vielen Heimatvertriebenen, die ins Land kamen und untergebracht werden mussten. Dann die Kriegsheim­kehrer. Dann die Schulverhältnisse, ich wurde 1945 eingeschult: Im Schul­ranzen nur Tafel mit Schwamm und Lappen, die außen herabhingen, und eine Griffelschachtel. In der zweiten Klasse eine 19-jährige Lehrerin mit 67 Kindern aus drei oder vier Jahrgangsstufen. Dann Schulspeisung, Woh­nungsnot und und und!

Als wir in der zweiten oder dritten Klasse einen Schulausflug in den Tier­park machen durften, mussten wir vorher Holz abliefern, damit der „Holz- gaserbus“ überhaupt starten konnte. Aber niemand hat aufgegeben. Fast ein „achtes Weltwunder“‚: Aus Not, aber auch aus Träumen, wurde ein Wirtschaftswunder.

Hans Obermair ist Heimatforscher. Er lebt in Glonn.

 

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