Die Bank in der Kirche

von Hans Obermair

Die Bank in der Kirche

Wer im Gotteshaus wo saß, sagte in früheren Zeiten viel über seinen gesellschaftlichen Stand aus

Wem ist das noch nicht aufgefallen: Da kommt man in eine Kirche und sieht auf der Innenseite der Bänke in meist gleichen Höhen und Abständen Namen oder Zahlen über der Kniebank angebracht. Ent­weder auf das Holz direkt gemalt oder auch auf kleinen angebrachten Schildern, die aus Holz oder Metall sind. Die Namen sind in der Regel im­mer Hausnamen, für deren Besitzer oder Bewohner damit die Nutzung des Platzes während der Gottesdienste ausschließlich geregelt ist. Hausna­men deswegen, weil der Schreibname wechseln konnte und das festgeleg­te Platzrecht ja Teil des Hofes war.

Kirchen- und baugeschichtlich gab es bis Anfang des 16. Jahrhunderts in der Regel nur für den Klerus und Altardienst eine Sitzgelegenheit. In der Regel erst ab der Reformation gab es auch immer öfter Sitzgelegenheiten für die Gläubigen. Zunächst nur in den „evangelischen“ Gebieten. Wahr­scheinlich war die bessere Situation bei den „Protestanten“ auch Anlass, dass in katholischen Kirchen Sitzgelegenheiten installiert wurden. Vermut­lich dauerte es Jahrhunderte, bis alle „aufgerüstet“ waren. Sicher waren Kirchenneubauten oder zum Beispiel eine „Barockisierung“ der gegebene Anlass. Bei den Katholiken dürfte es von Anfang an die Sitz-Kniebank ge­wesen sein. Sonderformen gab es mit den sogenannten „Gitterständen“.

Ein oder mehrere Plätze zusammen waren mit einem Gitter abgegrenzt. Warum? Weil man keine Einsicht wünschte, oder weil man ganz einfach absperren wollte. Für die Geistlichkeit waren natürlich Platzbelegungen auch eine Möglichkeit zu sehen, ob ein Platz besetzt war oder nicht. Denn Plätze waren ja nicht willkürlich belegbar. Allenfalls innerhalb der Bankrei­he, damit die Belegung ohne „Geschiebe und Wechsel“ möglich war.

Kirchenstühle waren für die in der Regel hart arbeitenden Gläubigen eine wesentliche Verbesserung, damit waren diese auch etwas „wert“. So wird es möglich gewesen sein, sich bei der Erstausstattung entsprechend einzu­kaufen oder den Platz auf Zeit zu „mieten“. Die Mietvariante wurde zum Beispiel in Glonn bis in die 1950-er Jahre angewendet. Für die Belegung der Plätze in der gesamten Kirche galt grundsätzlich: Rechts die „Männer­seite“, links die „Weiberseite“. Jedes Anwesen hatte im Kirchenschiff auf beiden Seiten seine Plätze. Bei größeren Anwesen oft mehrere.

Der Schreibweise nach, gibt es in Glonn mindestens ab dem Bau der jetzi­gen Kirche (1768) Platzbelegungen. Sehen wir uns den Glonner „Bele­gungsplan“ von 1866 an, fällt auf, dass die „Besseren“ vorne platziert wa­ren. Schloss Zinneberg hatte in der ersten Reihe auf der Männerseite von den sechs Plätzen gleich vier belegt. Dazu weitere in den hinteren Reihen. Auch der Apotheker war ganz vorne. Die Glonner Müller waren in den ers­ten Reihen platziert. Sie hatten zudem das Privileg, wahrscheinlich schon über Jahrhunderte, den „Himmel“ bei Prozessionen zu tragen.

Glonn war von jeher ein Gewerbeort. Also waren die Handwerker und Ge­werbetreibenden auch mehr oder weniger „vorne“. Insgesamt standen in der Pfarrkirche im Langhaus auf allen Ebenen gut 300 Plätze für die Gläu­bigen zur Verfügung. An Sonn- und Feiertagen gab es drei Gottesdienste. Sodass die Plätze für die in Glonn wohnenden ausgereicht haben dürften.

Irgendwann haben die Pfarrer und/oder die Kirchenpflegschaften die Kir- chen-stühle zugeteilt. Dass dabei „Sein und Haben“ eine entscheidende Rolle spielte, ist offenbar. Und so sind diese Platzierungen auch ein Spie­gelbild der gesellschaftlichen Ordnung vergangener Zeit. Dass vordere Plätze „teurer“ waren, muss nicht gewesen sein. Wenn nicht, war dies erst recht ein Grund mit seinem hinteren Platz unzufrieden zu sein. Und wenn ein Geltinger Bauer, der keinen vorderen Platz hatte, sich bösartig äußerte: „Die Plätze seien nach der Größe des Misthaufens vergeben“, meint er da­mit, er habe sich doch „gut gemacht“ und sogar einige die vor ihm platziert sind, jedenfalls wirtschaftlich, überholt.

Einem Zimmermann mit kleiner Landwirtschaft habe es ein Leben lang „gestunken“, weil sein Platz „ganz hinten und der schlechteste“ war. Man muss dazu wissen, dass der Geltinger Kirchensprengel ein fast rein bäuer­licher war und hier der Grundbesitz die ausschließliche Rolle bei der Ver­teilung gespielt haben dürfte. Noch dazu gab es ein Sonderprivileg: Die Männer, die in den ersten vier Stühlen rechts außen saßen, waren an Fronleichnam die „Himmeltrager“.

Mittlerweile haben sich die alten Vorstellungen überlebt: Die vorderen Plätze sind nicht mehr die begehrtesten, sondern auch die am Ausgang. Die alten Kirchenstühle, die ja vom Boden her wegen des feuchten Unter­grundes dem Verfall preisgegeben waren, wurden auf entsprechend iso­lierter Unterlage ausgetauscht. In vielen Fällen konnten die „Wangen“, die häufig aus Flartholz waren, gerettet werden. Die alten beschrifteten oder beschilderten Kirchenstühleverschwanden damit zusehends. In Gelting war dies Anfang der 1970er Jahre und in Glonn kurze Zeit früher. Während in Gelting das Altmaterial vermutlich Brennholz wurde, wurden in Glonn Teile gerettet: Hans Eichmaier, Seilermeister und Bauzeichner, hatte eine „Pfundsidee“. Er machte daraus in seinem Haus eine Holzdecke. Und so konnte ihn womöglich der „Seiler“ von der Kirchenbank, also sein Vorfah­re, beim Schafkopf in die Karten schauen.

Hans Obermair ist Heimatforscher. Er lebt in Glonn.

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