von Hans Obermair
Ignaz Gruber: Fremdenlegionär, Buchbinder und unvergessenes Glonner Original
Wenn man vor 100 Jahren nach dem „Gruber-Naz“ (Ignaz Gruber) fragte, wird es kaum eine Glonner Person gegeben haben, die ihn nicht persönlich kannte oder dem dieser Name nicht ein Begriff war. Gekannt hat man den „Naz“ nicht nur über seinen Buchbinderbetrieb, oder über
die vielen Sterbebilder, die man über Jahrzehnte bei ihm drucken ließ, oder die verschiedensten Drucksachen. Bekannt war er mehr von seinen Auslandsaufenthalten und den Geschichten, die er zu erzählen wusste – und das damals, als die meisten Leute nur kriegshalber über die Grenzen der Heimat gekommen waren.
Die Eltern waren 1863, wohl bei der Heirat, nach Glonn gekommen. Der Vater, auch Ignaz und in Haifing gebürtig, übte hier verschiedene Tätigkeiten aus: Korbmacher, Gärtner, Rauhwarenhändler (Pelze und Felle), Buchbinder und zuletzt Gerber. Nachdem man das 1863 gekaufte Haus veräußerte, kauft man 1877 Haus Nummer 48, in dem Sohn Donats Familie dann bis 1904 blieb. Der „Naz“ wurde 1864 in Glonn geboren. Er war der Älteste der insgesamt 14 Gruberkinder – acht sind bei der Geburt oder im Kindesalter verstorben. Soweit das Schicksal einer Arbeiterfamilie, wie es zu dieser Zeit nicht ganz selten war. Also eine Normalität.
Was nicht normal war, ist, dass der „Naz“ das Buchbinderhandwerk erlernen durfte. Das spricht für seine Aufgeschlossenheit und Begabung. Noch dazu in München, als es in Glonn noch keine Bahn gab und man in der Regel beim Meister zu wohnen hatte. Oder: In München gab es ja ein Kolpinghaus und Glonn hatte seit 1854 einen katholischen Gesellenverein. Pfarrer Späth oder sein Kaplan waren dessen Präses und hatte immer wieder Begabte gefördert.
Nach der Lehre ging der „Naz“ auf die „Walz“, innerhalb Deutschlands und in die Schweiz, sowie nach Italien und Holland. Auch das spricht für eine Nähe zur Kolpingbewegung. Mit 24 Jahren, also 1888 „landete“ er aber bei der Französischen Fremdenlegion (international und freiwillig). Warum? War es Abenteuerlust? Wir wissen es nicht. Zunächst ist er in Afrika und dann in China. Auch die Malaria machte ihm das Leben schwer. Um 1891 flüchtete er. Gesucht als „Fahnenflüchtiger“, arbeitete er als Buchbinder auf den Philippinen.
Erst 1892 kam er wieder in Glonn an. Er wohnt im elterlichen Haus Nummer 48. 1894 erwarb er in Glonn das Bürgerrecht. Ebenfalls meldet er in diesem Jahr, zusammen mit seinem Vater, im Elternhaus eine Buchbinderei und eine „Schreibmaterialienhandlung“ an. 1896 und 97 erweitert er, diesmal ohne Vater, sein Gewerbe um eine „Galantriewarenhandlung“ (modische Accessoires) und um eine „Druckerei für kleine Sachen“. Der Vater verstirbt 1898 und der Bruder übernimmt das Elternhaus. Dies war wahrscheinlich Anlass und Termin für den Umzug zum „Kramerschuster“ Johann Beham (heute Lena-Christ-Straße 20).
1894 heiratet er die aus Griesbach stammende und in Glonn arbeitende Gütlerstochter Franziska Marx. Er ist als Buchbinder und sie als Wäscherin (vermutlich in Zinneberg) in die Heiratsmatrikel eingetragen. Die vier Kinder aus der Ehe, von 1894 bis 1899 geboren, sind, bis auf Juliane, nicht in Glonn geblieben. Valentin ist im Ersten Weltkrieg gefallen. Vermutlich als die Kinder alle aus dem Haus waren, meldet Frau „Fanny“ 1908 die Wäscherei an. Tochter Juliane blieb ledig und hat die Wäscherei der Mutter übernommen, als diese 1941 starb. Zu Büsings Zeiten hatte die Wäscherei viele Aufträge von Schloss Zinneberg.
Ungewöhnlich für Glonn war auch, dass der „Naz“ in einem aufgelassenen Steinbruch hinter dem früheren Glonner Krankenhaus eine Schneckenfarm betrieb. Es war wahrscheinlich die erste im rechtsrheinischen Bayern, wie wir aus einer Zeitung wissen.
Seine „Ware“ wurde nicht in Glonn verzehrt, sondern ging vielfach ins Ausland. Das Interesse und die Erfahrung für diesen „Betriebszweig“ hatte der „Naz“ wohl der Fremdenlegion, in der ja französisch gelebt wurde, zu verdanken. Auch der Erste Weltkrieg blieb dem „Naz“ damals schon 50 Jahre alt, in Frankreich und Russland nicht erspart.
Neben seinen Erlebnissen in Deutschland und im Ausland war der „Naz“ bis zu seinem Tod ein aufmerksamer Glonner Zeitzeuge. Seine Familie wohnte ja in der Nähe des Lena-Christ-Geburtshauses, und so konnte die Familie Gruber das Schicksal der Glonner Schriftstellerin aus nächster Nähe miterleben und beobachten. Besonders Tochter Juliane, die 1989 mit fast 92 Jahren verstarb, konnte der Lena-Christ-Forschung gute Dienste erweisen.
Seinen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad kann auch daraus abgeleitet werden, dass die Presse keinen runden Geburtstag des Ignaz Gruber übersah. Daraus ergibt sich ein zuverlässiges Lebensbild dieses Glonner Originals. Bis ins hohe Alter betrieb er selbst noch seine Buchbinderei. Nicht nur als „Erzähler“ ist der „Naz“ bei Stammtischen und Gesellschaften gefragt, sondern auch als Mitwirkender bei allerlei Veranstaltungen ist er genannt. Immer wieder wird sein Humor hervorgehoben. Auch der „Haferlta- rok“ scheint das Seinige gewesen zu sein.
Auf alten Gruppenaufnahmen ist er immer wieder zu sehen. Also einer, der auf „allen Hochzeiten getanzt hat“. Nicht nur sprichwörtlich. Und so ist vermerkt, dass er selbst als hochbetagter Mann immer wieder auf dem Tanzboden zu sehen war.
Als Musikliebhaber war für ihn das Radio sein Medium. Sein Repertoire reichte vom modernen Schlager über Opern- und Operettenmusik bis hin zur Volksmusik, sowie den Hörspielen.
Bei der Nachricht zu seinem Neunzigsten war der „Naz“ noch beim Holz hacken abgebildet. Seine Aktivitäten und sein Interesse scheint das Geheimnis seines hohen Alters gewesen zu sein. 1956 im 93. Lebensjahr endete dieses Leben. Für damals uralt. Mit ihm ist viel Wissen um das alte Glonn mit ins Grab gegangen. Gott sei Dank hat der „Naz“ zu Lebzeiten gerne und viel erzählt.
Hans Obermair ist Heimatforscher in Glonn.