von Hans Obermair
Dienstag, 07. September 2021, Ebersberger Zeitung / Lokalteil
Der Kirchenwachter von Frauenreuth
Während des Gottesdienstes musste er den Ort bewachen zum Schutz vor Einbrechern
Zum menschlichen Dasein gehört es auch auf Gefahren zu achten, um einen möglichen Schaden zu verhindern beziehungsweise zu verkleinern. Der Beruf und die Tätigkeit des Nachtwächters war hierzu nicht nur zuständig, sondern auch Symbol über Jahrhunderte. Durch den Ort wandernd oder auch vom Turm aus überwachte und meldete er nicht nur Gefahren, sondern oft auch die Zeit. Mit der Stimme, dem Horn oder auch durch Glockengeläut machte er bei Gefahr darauf aufmerksam. Die Hellebarde oder ein Spieß waren Zeichen seiner Aufgabe, konnten gegebenenfalls aber auch Waffe sein. In zahlreichen Liedern und Geschichten wurde der Nachwächter zur Legende.
Einen „Hauptberuflichen“ konnten sich allerdings nur größere Kommunen leisten. Auf dem flachen Land wurde diese Aufgabe, wenn überhaupt, ehrenamtlich erledigt. In der Regel waren es die „Mesner“‚ die verständigt wurden, um „Sturm“ oder „Feuer“ zu läuten.
In der Regel waren es natürlich die Bewohner selbst, die aufpassten. Allerdings gab es an Sonn- und Feiertagen während Gottesdienstzeiten, insbesondere wo es nur einen einzigen Gottesdienst gab, den so genannten „Kirchenwachter“. Hier war man ja fast ausnahmslos in der Kirche. In der Regel war es dann nur ein „Weiberleut“, die das „Haus hütete“, in der Küche Dienst hatte und die sich auch gegebenenfalls um das Vieh kümmerte. Dies war eine Sicherheitslücke, die natürlich den potentiellen „Übeltätern“ auch bekannt war.
Und so wurde es mir von meinem Vater und von Michael Obermüller über Frauenreuth (Glonner Gemeindeteil) berichtet: „Nachdem aber in Frauenreuth an Sonntagen in der Regel nur ein Gottesdienst angeboten wurde, wären die Anwesen unbewacht gewesen. Und so musste ein so genannter „Kirchenwachter“, der zum Zeichen seines Amtes, aber auch als Waffe, mit einem Stab, der eine metallene Spitze hatte, ausgestattet war, während des Gottesdienstes den Ort bewachen. Der „Diensthabende“ musste nach der Kirche den Stab bei dem abliefern, der als nächster dran war. Hier gab es eine feste Reihenfolge“.
Die Hauptaufgabe des „Kirchenwachters“ war, zunächst durch sein Vorhandensein, abzuschrecken. War aber etwas vorgefallen, wie zum Beispiel Einbruch oder Feuer, verständigte er die Leute in der Kirche. Aus anderen Orten ist bekannt, dass es auch Aufgabe war darüber zu wachen, ob die kirchlich verordnete Sonntagsruhe, die nur das Nötigste an Arbeit erlaubte, eingehalten wurde.
Diese „Kirchenwachter“ sind zu unterscheiden von den Kirchenwächtern, die in größeren Kirchen, oft in spezieller Kleidung, auch heute noch, das Innere einer Kirche überwachen. Über die „Kirchenwachter“ gibt es im Gegensatz zu den Nachtwächtern nur spärliche Nachrichten und Aufzeichnungen. Demnach gab es diese in allen Teilen Bayerns bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, also jener „Zeitenwende“ ab der der Gottesdienstbesuch, aber auch das Verbot der Sonntagsarbeit nicht mehr so ernst genommen wurde. Ab dieser Zeit gewinnt aber auch das Meldewesen (Sirenen, Telefon usw.) an Bedeutung.
Aber ab wann gibt es diese Einrichtung, beziehungsweise diesen Brauch? Eine Quelle sagt, die marodierenden Banden des Dreißigjährigen Krieges seien der oder ein Anlass gewesen. Wenn man bedenkt, dass dieser Krieg, auch einer der Religionen war und man es auch auf treue „andersgläubige“ Kirchgänger abgesehen hatte, ist dies durchaus verständlich.
Es können aber auch lokale Anlässe im Ort und der Umgebung gewesen sein, die eine Überwachung herausforderten.
Die Votivtafeln in der Frauenreuther Kirche berichten hierüber nichts. Aber im Buch „Die Nonnenmacher“ von Georg Gebhard, hier wird über die „Haberl’s von Marschall“, einer Familienbande mit Nachnamen Nonnenmacher, berichtet, finden wir Hinweise. Dass es in unseren Landkreis zwar keine verwandtschaftlichen Beziehungen mehr, aber „komplizenhafte“ gab, wie es Gebhard nannte, wurde von ihm bestätigt. Der Autor stellt generell fest, dass sich diese Bande die Situation während der Gottesdienste öfter zunutze machte. Zwar ist über Frauenreuth selbst nichts berichtet, aber über die Umgebung:
In Wildenholzen wurde das Hofbauernanwesen 1838 während des Gottesdienstes in Alxing von dieser Bande überfallen. Die 19-jährige Magd Maria hatte alleine das „Haus zu hüten“. Das Ablenkungsmanöver durch eine „fremde Frau“ nutzten „zwey Bursche“ aus und bedrohten die Magd. Sie waren bewaffnet mit einer Pistole und einer Heugabel. Jedenfalls konnten die Räuber mit einer Beute im Wert von 217 Gulden von dannen ziehen. Die Polizei konnte allerdings zwei von den drei Räuberpersonen dingfest machen. Ein zweiter Überfall dieser Bande ist für 1839 verzeichnet. Wieder ein größeres Anwesen, diesmal beim „Moar in Öd“ war das Ziel und wieder am Sonntag, während des Kirchganges zur Jakobsbairer Kirche. Die „Dirn“ Anna hatte das Haus zu hüten. Über die Ställe drangen die Räuber ins Haus. Unter Drohungen und Misshandlungen, auch mit einer Büchse bewaffnet, wurde die „Dirn“ in den Keller gesperrt. Diesmal bestand die Beute wieder überwiegend aus Bargeld, aber auch aus anderem „Silbernen“ und aus „G‘ wand“. Der Gesamtschaden geht sicher an die 1000 Gulden. Die Räuber konnten nicht dingfest gemacht werden. Aber das „Muster“ spricht wieder für die „Haberl-Bande“.
Dass solche Vorkommnisse auch die Umgebung beunruhigen, es war ja im selben Landgericht, versteht sich von selbst. „Kirchenwachten“ beziehungsweise weitere, könnten die Folge gewesen sein. Übrigens: Die damals bekannte „Doktorbäuerin“ Amalia Hohenester, sie hatte internationales Patientenpublikum, war ein Spross dieser berüchtigten Familie. Als Amalie Nonnenmacher wurde sie in Vaterstetten 1826 geboren. Die Familie kaufte bald darauf das „Haberlanwesen“ in Marschall bei Holzkirchen.
Wieder zurück nach Frauenreuth: Wie lange gab es dort den Kirchenwachter? Die Abschaffung war frühestens 1930. Denn im November dieses Jahres lesen wir folgende Zeitungsmeldung:
„Glonn (Diebstahl) Am Sonntag vormittag, während des Gottesdienstes wurde beim „Simmerbauer“ Josef Schweiger in Frauenreuth ein Diebstahl ausgeführt, wobei der Dieb aus einem verschlossenen Schrank des Bauern eine Kasse mit 500 Mark Inhalt erbeutete. Auch das Rad des Bauern wurde mitgenommen. Nachdem die Rückkehr der Hausbewohner vom Gottesdienst der mit der Kirchenwacht betraute auf dem Hof beschäftigte Knecht verschwunden war, richtet sich der Verdacht des Diebstahls auf den Knecht. Die Gendarmerie Glonn wurde alsbald verständigt, so dass es wohl bald gelingen wird, den Täter zu verhaften“.
Ob der Täter, jener Knecht, ausfindig gemacht werden konnte, ist nicht bekannt. Vielleicht war dieser Vorgang das Ende des Frauenreuther „Kirchenwachters“.
Hans Obermair ist Heimatforscher. Er lebt in Glonn.